Eine bessere Schiene braucht mehr Tempo und Entschlossenheit

Marktgerechte Weiterentwicklung der Schieneninfrastruktur benötigt zu viel Zeit und Ressourcen

Frankfurt/M./Köln. Mitte Oktober 2023 hat die DB Netz AG gemäß § 9 Eisenbahnregulierungsgesetz den Geschäftsplan 2023 vorgelegt. Darin wird eine Fülle von Maßnahmen und Projekten der Netzentwicklung für die Jahre bis 2030 bzw. 2040 zumeist in Textform beschrieben. Der Netzbeirat kommentiert in erster Linie aus der Sicht der Zugangsberechtigten auftragsgemäß die vorgelegten Ausführungen zu Netzausbau und -entwicklung, Netzerhalt und -art sowie zur Netzbereitstellung. Grundlegende Verbesserungen sind hier aus Sicht des Beirats zwingend angesichts der zunehmend desolaten Situation bei der Schieneninfrastruktur.

Schaffung eines 740m-Netzes beschleunigen
Detailliert wird der bisher erfolgte Ausbau des 740m-Netzes beschrieben. Das 2018 aufgelegte Projekt mit einem hohen Kosten-Nutzen-Verhältnis von 4,8 soll nunmehr 2031 abgeschlossen sein. Damit werden Aussagen des Jahres 2021 bestätigt. Der Netzbeirat wiederholt seine Wertung, dass die als Erklärung angeführte „Dauer der Baurechtsverfahren“ und die Möglichkeiten zur „betrieblichen Eintaktung der Baumaßnahmen“ nicht befriedigen kann. Eine Reaktion auf das Votum des Netzbeirats, die Produktivitätsverluste insbesondere im Güterverkehr im Zusammenwirken von Bund und Bahn zu beseitigen, ist bislang nicht erkennbar. Damit wird eine Chance vertan, durch mehr Markt-Perspektive die eingeschränkte Wettbe-werbsfähigkeit der Schiene gegenüber dem Straßenverkehr zu verbessern.

Die Reaktivierung von Strecken vorantreiben
Der Netzbeirat unterstützt das Vorhaben, weitere Strecken zu reaktivieren. Mit Blick auf die geforderte Verkehrswende ist jedoch eine deutlich feingliedrigere Netzstruktur notwendig, die vor der Verkehrswende geschaffen sein muss. Insofern können die vorgestellten 20 Projekte nur als ein wichtiger Teilschritt verstanden werden, dem sehr rasch (vor 2040) weitere folgen müssen. Der Netzbeirat wiederholt hier seine Unterstützung für die DB Netz AG, bei den Vorhaben für Streckenreaktivierungen die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass auch die Bedarfe des Schienengüter- und von Umleiterverkehren berücksichtigt werden.

Zugangsstellen zum Netz für den Personen- und Güterverkehr konsequent ausdehnen
Für den Personen- und Güterverkehr gilt, dass jedes weitere Wachstum des Sektors von der Schaffung weiterer Zugangsstellen zum Netz abhängt. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf die großteils ausstehende Verkehrswende. Schon 2025 sollen die Fahrgastzahlen verdoppelt sein und die Schiene 25 Prozent der Güterverkehrsleistungen übernommen haben. Die prognoseseitige Unterlegung dieses Ziel erscheint dem Beirat jedoch nicht belastbar. Die Personenbahnhöfe der großen Bahnknoten sind jedoch schon jetzt nicht nur zu den Hauptverkehrszeiten hoch bis höchst belastet. Die betrieblich so wichtigen Abstellanlagen werden im Geschäftsplan ignoriert. Die genannten 141 Maßnahmen für den Güterverkehr werden als wertvoller Schritt verstanden, dem dringend weitere folgen müssen – innerhalb und außerhalb der DB Netz AG. Dazu ist aus Sicht des Netzbeirats die aktuelle Förderung anzupassen und sind neue Geschäftsmodelle zu entwickeln z.B. für die Lagerung und den Umschlag von Gütern an neuen Zugangsstellen.

Hochleistungskorridore – Generalsanierung statt Sanierung unter dem rollenden Rad
Der Netzbeirat teilt uneingeschränkt die kritischen Einschätzungen des Bundes und der DB Netz AG zum qualitativen Zustand weiter Teile des Schienennetzes. Einerseits muss dieser möglich rasch verbessert werden, um die gravierenden Instandhaltungsmängel zu beseitigen. Dies ist eine wesentliche Voraussetzung für pünktlicheren Zugverkehr. Andererseits unterbricht die Generalsanierung für definierte Zeiträume die Kundenbeziehungen des Schienenverkehrs. Die Folgen in Bezug auf Abwanderung der Netzkunden und Fahrgäste dürften unabsehbar und kaum reversibel sein. Der Netzbeirat legt größten Wert darauf, dass die Finanzierung für die Sanierungsprojekte der Jahre ab 2025 tatsächlich sichergestellt wird und die strecken-bezogenen Sanierungspläne definitiv eingehalten werden. Der Schienenersatzverkehr muss funktionieren und Komfort- und Qualitätseinbußen müssen auf dem niedrigst möglichem Niveau bleiben. Für den Güterverkehr braucht es situationsbezogene und leistungsfähige Konzepte zur Aufrechterhaltung einer marktkonformen unterbrechungsfreien Schienenanbindung. Die Pläne für Umleitungsverkehre müssen tatsächlich valide sein und vor Einrichtung mit den Marktakteuren im Detail plausibilisiert worden sein. Rückverlagerungen auf die anderen Verkehrsträger sind auf jeden Fall zu vermeiden. Auf die Notwendigkeit, dass für alle Verkehrsarten sämtliche Mehrkosten im Zusammenhang der Generalsanierung zu kompensieren sind, geht der Geschäftsplan leider nicht ein. Rückverlagerungen auf andere Verkehrsträger sind damit quasi vorprogrammiert. In diesem Zusammenhang ist auch zu erwähnen, dass das Management der Baustellen im Sinne der Folgenminimierung für den Zugbetrieb deutlich verbessert werden muss.

Mehr Qualität im Schienenverkehr ist unverzichtbar
Das Thema Qualität in Form von Pünktlichkeit wird im aktuellen Geschäftsplan mehrfach angesprochen. Zahlreiche Maßnahmen der Netzentwicklung werden damit in Verbindung gebracht, ohne genau ihren Effekt auf die Verspätungslage zu benennen. Das neue Hochleistungsnetz soll bis 2030 entstehen und durch geringe Störniveaus positive Wirkungen auf Kapazität und Pünktlichkeit auslösen. Innerhalb von drei Jahren hat die Summe der Verspätungen jedoch um ca. 48 Prozent zugenommen. Nur ein Teil der Verspätungen wird heute auf das Netz oder die Verkehrsunternehmen verteilt. Angesichts des nicht vermittelbar großen Anteils „übriger Gründe“ (45 Prozent in 2022) wird angeregt, hier die Ursachen im Detail aufzuschlüsseln, um allseits Abhilfemaßnahmen auszulösen und stringent monitoren zu können.

Digitalisierung – ein Megathema mit gravierenden wirtschaftlichen Folgen
Der Netzbeirat versteht die Digitalisierung von Geschäftsprozessen und Produkten, richtig gemacht, als große Chance des Sektors, erhebliche Kostensenkungspotenziale zu realisieren und neue Geschäftsoptionen zu entwickeln. In diesem Kontext wird erneut auf in der Branche bestehende Zweifel hingewiesen, dass die in Aussicht gestellten Kapazitätsgewinne einer Jahrzehnte alten Signaltechnik tatsächlich wie dar-gestellt eintreten werden. Es bedarf einer neutralen Stelle, die den Gesamtprozess der Digitalisierung koordiniert. In diesem Zusammenhang wird der Zeitbedarf für die ETCS-Einführung auf 16.000 km Netz bis zum Jahr 2050 als kritisch erachtet. Damit entsteht allein auf diesem Teilnetz für mindestens weitere fast 30 Jahre ein Parallelbetrieb verschiedener Leit- und Sicherungssysteme. Dieser verursacht Zusatzkosten bei der DB Netz AG und den Nutzern, ohne adäquaten Zusatznutzen für letztere auszulösen. Die Netzzugangsberechtigten müssen daher von den Kosten des Parallelbetriebs freigestellt werden. Es sollten ferner alle Optionen zur beschleunigten Einführung dieses neuen Leit- und Sicherungssystems genutzt werden. Ohne eine geeignete Fahrzeugförderung für die On-Board-Geräte steht zudem der gesamte Migrationsprozess in Frage. Ferner muss zügig geklärt werden, wie das verbleibende Netz (ca. 17.300 km) signaltechnisch zu-kunftsfähig ausgerüstet werden soll.

Das neu geschaffene Kennzahlensystem erhöht Transparenz und Effizienz
Viele Daten, die für eine fundierte Beurteilung des Schienenverkehrs und seiner Infrastruktur notwendig sind, wurden bisher in Deutschland teilweise nicht erhoben, nicht veröffentlicht oder mit unterschiedlichen Angaben für gleiche Zeitpunkte publiziert. Um hier die Transparenz zu erhöhen und die Grundlage für eine systematische Diskussion zur Entwicklung der Infrastruktur zu ermöglichen, entstand in dieser Netzbeiratsperiode in enger Abstimmung mit der DB Netz AG ein System von Kennzahlen zur Schieneninfrastruktur, ihrer Struktur, ihrem Zustand und den betrieblichen Gegebenheiten. Hiermit wird eine vereinheitlichte Datengrundlage geschaffen, auf deren Basis der ehrenamtlich aktive Beirat bisher seinem im §34 AEG definierten Arbeitsauftrag effizienter und effektiver nachkommt. Der Netzbeirat begrüßt dabei ausdrücklich, dass DB Netz dem Vorschlag des Netzbeirats gefolgt ist, eine umfassende Zustandsbewertung mit Blick auf Substanz und Verfügbarkeit nach Schweizer Vorbild für alle Gewerke einzuführen und jährlich zu aktualisieren.

Die Branche verspricht sich davon, dass das betriebliche, tägliche Erleben durch die neuen Indikatoren auch geeignet reflektiert wird. Dies war im Rahmen der in der Leistungs- und Finanzierungs-vereinbarung (LuFV I - III) bisher getroffenen Kennwerte oft nicht der Fall. Gerade mit Blick auf die Sanierung der Hochleistungskorridore wird der Schulterschluss im Sektor nur gelingen, wenn sich die bisherige Entwicklung umkehrt und nachweislich der Zielzustand in Bezug auf Verfügbarkeit und Substanz entlang der neuen Indikatoren erreicht wird und die Verbesserung für alle Netznutzer spürbar eintritt. Bereits das Jahr 2024 wird hier ein erster Maßstab sein.

Es zeigt sich bereits heute, wie lang der Weg zu einer Verkehrswende noch ist. Deutliche und schnelle Verbesserungen an einem heute in Teilen desolaten Schienennetz stehen seit Jahren aus. Stattdessen unterblieben notwendige Instandhaltungsmaßnahmen und der Ausbau verlief schleppend. Die Betriebslänge veränderte sich 2023 kaum. Nur wenige neue Bahnhöfe konnten bisher in Betrieb genommen werden. Die Anzahl der Gleisanschlüsse verharrt noch immer auf niedrigem Niveau. Die für die Netzkapazität so relevante Anzahl der Abstellgleise geht überraschend weiter zurück. Die Ausrüstung auf den ETCS-Standard kommt nur schleppend voran. Diese Situation muss aus Sicht des Netzbeirats grundlegend und dringend verbessert werden.

Zum Hintergrund: Das ist der Netzbeirat
Der Netzbeirat berät die DB Netz AG bei allen Fragen der Entwicklung, des Ausbaus und des Erhalts des Schienennetzes. Das Gremium setzt sich aus Vertreter*innen oder Beauftragten von Eisenbahnverkehrsunternehmen und der für den Nahverkehr zuständigen Organisationen der Bundesländer zusammen. Damit möglichst viele Unternehmen und Organisationen aus allen Regionen Deutschlands die Möglichkeit erhalten, sich im Netzbeirat zu engagieren, wählt das Eisenbahn-Bundesamt die Mitglieder für jeweils drei Jahre aus.

Der Beirat ist Repräsentant der Netznutzer und vertritt deren Belange. Aufgrund seiner Unabhängigkeit äußert er sich auch öffentlich und findet im Eisenbahnsektor Gehör. So führt das Gremium Gespräche mit dem Parlament, der Bundesregierung und der Europäischen Kommission und dient einem institutionalisierten Trilog zwischen dem Betreiber der Schienenwege, den Nutzern und der Eisenbahnaufsichtsbehörde.
Die DB Netz AG informiert den Beirat über alle von ihm aufgegriffenen Infrastrukturentwicklungsthemen und bezieht ihn in ihre strategischen Planungen ein. Im Netzbeirat werden daher nicht nur Fragen in Bezug auf die Größe, die Kapazität und die Standards des Netzes, Planungen von Neu- und Ausbaumaßnahmen sowie Ersatzinvestitionen diskutiert. Der Beirat befasst sich auch mit aktuellen Fragen wie der Förderung eines lärmärmeren Güterverkehrs, der Finanzierung des Erhalts des Bestandsnetzes und der Ermittlung von infrastrukturellen Engpässen. Er erarbeitet Empfehlungen, die der Vorstand des Betreibers der Schienenwege zum Gegenstand seiner Beratungen macht. Außerdem gibt er Stellungnahmen zu den Geschäftsplänen der Betreiberin der Schienenwege ab, welche ihre Investitions- und Finanzierungsplanungen enthalten.